Hall: Moderne Architektur für ein pädagogisches Uralt-Konzept
Die Grundsteinlegung für den neuen Schulcampus in Hall in Tirol erfolgt und hat auch bei uns zu einigen Reaktionen geführt.
Nach dem Motto „Alles unter einem Dach" werden eine Volksschule, eine Neue Mittelschule und zusätzlich eine Sonderschule in den Campus einziehen. Obwohl das „NMS-Konzept" eigentlich als ein Konzept „für alle Kinder" gedacht wir, wird in Hall weiterhin Aussonderung (diesmal unter einem Dach) betrieben.
Das nennt sich dann „Kooperation": Kinder teilen sich (vielleicht) einen Fahrradständer, ein WC, einen Turnsaal und ein Pausenhof... aber sie werden nicht gemeinsam unterrichtet.
Derartige Modelle wurden bereits in den 1980er und 1990er Jahren erprobt und auch vielen Gründen verworfen. Solche „Kooperationsmodelle" wurden als die „kränkendste Form von Ausgrenzung" erkannt und abgelehnt. In Tirol beginnt man dieses Modell nun leider wieder. Das hat vermutlich damit zu tun, dass die Umlandgemeinden von Hall im „Sonderschulverband" dafür mitzahlen müssen. Für Kinder schlecht und eine poltische Bauernfängerei... Für ein inklusives Schulmodell gäbe es wohl weniger Geld von den umliegenden Dörfer und diese müssten sich dann auch unmittelbar selbst um eine gute für ALLE Kinder in ihrer Gemeinde einsetzen. So wird der Schulbezirk Innsbruck-Land West wohl eine der schlechtesten Bildungsregionen in Österreich bleiben...
Bereits 1993 (!) warnte Herr Dr. Werner Specht vom Institut für Bildungsforschung in seinem Evaluierungsbericht
vor dieser halbherzigen Öffnung mit seinen vielen Nachteilen für Kinder mit Behinderung: „Mit der stundenweisen Kooperation von Sonderschul- und Regelklassen wird dieser Schonraum geöffnet - und verliert dadurch gleichzeitig seine wichtigste Schutzfunktion. Mit dem Etikett des Sonderschülers
treten diese Kinder in die ihnen fremde Welt der "Normalschule" ein, um zu malen oder zu musizieren, werden vielleicht freundlich aufgenommen, vielleicht auch nur begafft, verlassen diese Welt aber dann jedenfalls wieder, wenn es "ernst" wird, im Bewußtsein, daß in diesem "Ernst des Lebens" kein Platz ist für sie. Es ist schwer vorstellbar, daß in diesen Stunden wirkliche
Förderung oder soziale Integration geschieht. Was tatsächlich geschehen dürfte ist, daß der "Schonraum" Sonderschule als solcher erkannt wird und dadurch seinen Zauber einbüßt" ... (siehe Evaluation der Schulversuche... 1993 bei BIDOK ) Der Verdacht von Dr. Specht hat sich leider vielfach bestätigt....
http://bidok.uibk.ac.at/library/specht-evaluation-kap4.html#idp8621824
Ein Statement aus Salzburg aus dem Jahr 1997 (!):
Das „kooperative Schulmodell" ist wissenschaftlich untersucht, in der Praxis erprobt und für das schlechteste aller Integrationsmodelle befunden worden.
Das Koop Modell ist seit 1993 eine mögliche Variante der „Integration". In der Stadt Salzburg haben einige Hauptschulstandorte im Schulversuch mit diesem Modell begonnen, weil es den Lehrkräften anfänglich einfacher erschien, zwischen Hauptschul- und Sonderschulklassen zu kooperieren, als Integrationsklassen einzurichten.
Die PädagogInnen haben jedoch viele soziale Probleme geortet, weil die SonderschülerInnen häufig von den SchülerInnen der Regelklassen verspottet worden sind ("Jetzt kommen die Deppen wieder...") Einige Jugendliche mit SPF haben in Interviews gesagt , dass sie lieber in ihrer Stammklasse bleiben würden, als zu den Hauptschülern zu gehen. Zudem war der organisatorische Aufwand ein hoher und der Grad der Kooperation noch mehr von den beteiligten Personen abhängig, als in I-Klassen. Letztlich haben diese Argumente dazu geführt, alle Koop-Klassen zu Integrationsklassen weiter zu entwickeln und das Kooperationsmodell nicht weiter zu verfolgen.
Unsere sehr kurz gefasste Meinung dazu:
Weder die Schulaufsicht, noch die Landespolitik sollte sich dafür hergeben, Kinder und Lehrpersonen in Situationen zu bringen, die andere Kinder und Lehrpersonen bereits vor Jahrezehnten erleben mussten und deshalb aus guten Gründen abgelehnt haben! Die wirtschaftlichen Überlegungen einer Gemeinde sollten nicht zu Lasten von Kindern mit Behinderung gehen. Die UN-Menschenrechtskonvention ermöglicht wesentlich besseres, was derzeit in Hall angedacht ist! Das Wohl der Kinder und echte Teilhabe am Leben und Unterricht zu ermöglichen ist spätestens seit der Ratifizierung der UN-Menschenrechtskonvention vor fast 10 Jahren klarer Auftrag an die Politik!