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Maßnahmen zur Familienentlastung und -unterstützung

Ist-Zustand

Kindererziehung und -betreuung stellt sich in der heutigen Zeit für die meisten Mütter und Väter ganz grundsätzlich als Aufgabe dar, für die es ausreichende Unterstützung durch ein gutes soziales Netz und/oder öffentliche Unterstützungs- und Betreuungs-Angebote benötigt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Tatsache ist jedoch, dass der Spagat zwischen Familie, Beruf und persönlichen Bedürfnissen nur zu schaffen ist, wenn Eltern angemessene Unterstützungs- und Entlastungsangebote zur Verfügung stehen. Diese erhalten sie teilweise in ihrem privaten sozialen Umfeld und (zusätzlich) durch öffentliche oder private Kinderbetreuungsangebote. Die Angebote der Kinderbetreuung und Familienunterstützung wurden aufgrund dieser Entwicklung sowohl für sehr kleine Kinder, als auch im vorschulischen und schulischen Bereich stark ausgebaut. Zumindest trifft das derzeit auf die Ballungszentren und die umliegenden Gemeinden zu. Im ländlichen Raum und in den Tälern Tirols ist das Angebot freilich noch lange nicht im selben Ausmaß gegeben.

Wie stellt sich die Situation für eine Familie mit einem Kind mit einer Behinderung dar?

Die Wünsche und Bedürfnisse von Eltern mit einem Kind mit Behinderung unterscheiden sich zuerst einmal nicht von denen anderer Eltern. Auch Mütter und Väter mit einem Kind mit einer Behinderung möchten vielleicht nicht zu lange mit dem beruflichen Wiedereinstieg warten, auch diese Eltern haben ein Bedürfnis nach persönlichem Freiraum, nach Regeneration und Zeit für ihre Partnerschaft. Die Anforderungen an ihren Alltag sind jedoch deutlich höher, wenn ihr Kind das Persönlichkeitsmerkmal „Behinderung" aufweist. Die zusätzlichen Anforderungen können bestehen aufgrund unzähliger Arzt- und Kliniktermine, Therapien und Fördereinheiten, aber auch aufgrund von Zukunftsängsten, Diskriminierungen im Alltag, Behördenmarathons, fehlender gesellschaftlicher Solidarität und Willkommenskultur gegenüber Kindern mit Behinderungen. Zudem wollen und müssen natürlich auch Geschwisterkinder gesehen, gehört und in ihrer Entwicklung begleitet und unterstützt werden. Das ist eine Aufgabe, die eine Familie meistens allein nicht bewältigen kann. Familien sind in solch einer Situation noch viel mehr als alle anderen Familien auf ein gutes soziales Netzwerk und ausreichende, bedarfsgerechte Unterstützung von öffentlicher Seite angewiesen.

In den Ballungszentren besteht inzwischen zwar ein einigermaßen gutes Angebot integrativer Kinderkrippen und Kindergärten mit Nachmittagsbetreuung, aber leider werden auch hier Kinder mit einem erhöhten Förderbedarf nicht selbstverständlich aufgenommen und Familien erfahren dadurch wiederkehrend Verletzungen und Diskriminierung. Darüber hinaus ist es immer wieder der Fall, dass für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf eine qualitätsvolle Begleitung und Förderung nicht oder nur in sehr reduziertem Ausmaß gegeben ist. Im ländlichen Raum ist die Versorgungssituation meistens noch deutlich schlechter. Auch nach über 10 Jahren seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechts-Konvention werden Familien in ihrem Recht auf Unterstützung allein gelassen, gibt es nur unzureichend familienentlastende und -unterstützende Dienstleistungsangebote vor Ort in Österreich. Dass ein Kind mit erhöhtem Förderbedarf in seiner Heimatgemeinde die Kinderkrippe, den Kindergarten, die Volksschule besucht ist leider immer noch keine Selbstverständlichkeit, sondern vielfach die Ausnahme. Noch immer erfahren Kinder mit einer Behinderung und deren Eltern Diskriminierung durch die zeitlich begrenzte Anwesenheit von Unterstützungspersonal in Schulen, was dazu führt, dass behinderte Mädchen und Buben am Unterricht oft nur in reduziertem Ausmaß teilnehmen können sowie von Exkursionen und Ausflügen ausgeschlossen werden. Das ist die traurige Realität für viele Familien in Tirol! Gerade für Kinder mit hohem Unterstützungsbedarf gibt es für Familien nur dann Entlastung, wenn sie ihr Kind in einer Sondereinrichtung nur für behinderte Kinder betreuen lassen. Es ist keinesfalls ungewöhnlich, dass bereits Kindergartenkinder täglich bis zu einer Stunde mit einem Sonderfahrtendienst in die Einrichtung hin und eine Stunde lang wieder zurückgeführt werden. Keinem nicht-behinderten Kind würde dies zugemutet.

Eine Gleichstellung in der Kinderbetreuung ist in Tirol für eine Familien mit einem Kinder mit Behinderung gegenüber einem Kind ohne Behinderung nicht gegeben und für ein Kind mit erhöhtem Förderbedarf in noch viel weiterer Ferne.

Eltern mit einem Kind mit Behinderung können neben allgemeinen Angeboten der Kinderbetreuung, die für alle Familien zugänglich sind, Leistungen der Tiroler Behindertenhilfe beantragen. Derzeit sind dies 48 bis maximal 216 Stunden pro Jahr Familien-Unterstützung und 40 bis maximal 160 Stunden Familienunterstützung in der Ferienzeit, insgesamt also maximal 376 Stunden Familien-Entlastung. Wobei dieses Höchstausmaß von 376 Stunden nur alleinerziehenden und berufstätigen Müttern und Vätern gewährt wird. 376 Stunden bedeutet im besten Fall in etwa 1 Stunde pro Tag Familien-Unterstützung. Wer nur annähernd mit den Lebensrealitäten von Familien mit einem Kind mit Behinderung vertraut ist, dem/der muss bewusst sein, dass diese Maßnahme nach dem Tiroler Teilhabegesetz die Bezeichnung „Familien-Unterstützung/Familien-Entlastung" nicht verdient.

UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Österreich hat sich mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet, geeignete Schritte und Maßnahmen zu ergreifen und das Recht auf Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen zu gewährleisten und zu fördern. Diese staatliche Verpflichtung besteht in gleichem Maße auf Landes- und kommunaler Ebene.
Der Artikel 3 der UN-Behindertenrechts-Konvention bestimmt als allgemeine Grundsätze für den/die Einzelnen u. a. das Recht auf Nichtdiskriminierung, das Recht auf volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft, das Recht auf Chancengleichheit und das Recht auf Achtung vor dem sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen....
Der Artikel 7 der UN-Behindertenrechtskonvention anerkennt, dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern alle Menschenrechte und Grundfreiheiten beanspruchen können.

Forderungen

Ein Grundsatz von Integration Tirol lautet „Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderung und ihre Familien gehören in die Mitte der Gesellschaft! Zum Wohle Aller!"
Um Familien Teilhabe und weitestgehende „Normalität" zu ermöglichen benötigt es Familien-Entlastung ab der Geburt eines Kindes mit Behinderung in einem Ausmaß, welches sich an den Bedarfen der Familien orientiert. SozialarbeiterInnen, SachbearbeiterInnen, Amtsärztinnen und Amtsärzte und weitere EntscheidungsträgerInnen der Tiroler Behindertenhilfe wissen oft nicht bzw. können schwer nachvollziehen, wie sich der Alltag einer Familie mit einem Kind mit Behinderung gestaltet und wie groß die Herausforderungen und Belastungen sind. Und, sie können nicht wissen welche Unterstützung eine Familie benötigt und in welchem Ausmaß. Das wissen allein betroffene Familien! Erst wenn Familien die erforderlichen und individuellen Ressourcen ohne „Behördenmarathon" und „Betteleien" gewährt werden, dann kann wirklich von einem Gesetz gesprochen werden, welches Teilhabe ermöglicht und die Bezeichnung Teilhabegesetz verdient. Solange bestenfalls 376 Stunden Familien-Unterstützung gewährt wird, kommen Familien über kurz oder lang an den Punkt, wo sie auf Betreuung in Sondereinrichtungen zurückgreifen müssen, ob sie das möchten oder nicht.

Zusammengefasst lautet unsere Forderung:

„Familien-Unterstützung und -Entlastung ab der Geburt eines Kindes mit Behinderung, eine sogenannte Persönliche (Familien)Assistenz im Ausmaß, welches sich am tatsächlichen, individuellen Bedarf von Familien orientiert. Dadurch würden Familien in alltäglichen Belastungssituationen, wie z. B. Pflege, Nachtdienste, Arzt-, Klinik- und Therapietermine u.v.m. Unterstützung und Entlastung erfahren. Auch den Bedürfnissen eventueller Geschwisterkinder kann dadurch besser nachgekommen werden und der Gefahr der Überforderung von Eltern entgegengewirkt werden. Die Persönliche (Familien) Assistenz kann den Grundstein für eine integrative Betreuung in der Kinderkrippe und im Kindergarten legen. Mit Beginn der Schulzeit darf und soll diese Familien-Assistenz als Assistenz für Kinder und später für Jugendliche weiterentwickelt werden, bis sie dann im Erwachsenenalter allen Menschen, unabhängig vom Schweregrad einer Behinderung und unabhängig vom Ausmaß der Unterstützung, bedarfsgerecht, zur Verfügung steht. Erst dann sind die Voraussetzungen für wirkliche Teilhabe von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Menschen mit Behinderung und deren Familien geschaffen!

 

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