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Positionspapier von Integration:Österreich

Inklusion behinderter/benachteiligter Schüler*innen

Die derzeitige Situation:

Am 26. Oktober 2008 ist das »Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen« der Vereinten Nationen (UN-BRK) in Österreich in Kraft getreten. Damit besteht eine verpflichtende Grundlage (egmr Nr. 34591/19 und 42545/19 – Toplak und Mrak/Slowenien) das Erziehungs-, Bildungs- und Unterrichtssystem auf allen Ebenen inklusiv zu gestalten (§ 24). Das gegenwärtige Schulsystem steht dieser Rechtslage durch seine überkommene Gliederung in Regel- und Sonderschulen entgegen. Es grenzt weiterhin massiv aus regulären Bildungsprozessen aus, vor allem jene, die als schwerst-, mehrfach-, komplex oder intensiv behindert bezeichnet werden.

Seit 1993 ist Integration gesetzlich vorgesehen. Die zahlenmäßige Entwicklung stagniert jedoch seit 2016/17 bei 63% der Schüler*innen mit Förderbedarf. Faktisch entscheidet, wie die starken regionalen Unterschiede zeigen, die örtliche Schulverwaltung darüber, ob überhaupt und ggf. an welchen Schulen Inklusion stattfindet. Noch mehr gilt das für die Qualität inklusiven Unterrichts und die eingesetzten Personalressourcen. Es ist inakzeptabel, dass die Qualität des Unterrichts der Kinder in inklusiv arbeitenden Schulen oder Klassen vom guten Willen und dem Engagement einzelner Lehrkräfte abhängt. Zudem wird das Wissen der Eltern und Therapeut*innen/Betreuer*innen systematisch ignoriert.

Inzwischen wurden weltweit über 40 Jahre Erfahrungen mit inklusivem Unterricht gemacht. Sämtliche internationale Studien und Gutachten bestätigen, dass ein inklusives Schulsystem für alle Kinder das einzig angemessene Schulsystem ist, um ihren Lernfähigkeiten gerecht werden zu können. Das gilt nicht nur für Kinder mit Behinderung, sondern auch für Kinder mit besonderen Begabungen: Auch sie machen in einem inklusiven, jedem*jeder einzelnen Schüler*in zugewandten System, weitaus bessere Lernfortschritte als in einem System gleichmacherischen Einheitsunterrichts. Es ist hoch an der Zeit, dass in Österreich ein nächster Schritt gemacht wird!

Wir schlagen daher vor:

Ende der teuren Zweigleisigkeit: Die Sonderschulen werden schrittweise überflüssig. Nur das entspricht dem Stand der Pädagogik und den verbindlichen Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.

Als ersten Schritt müssen die Schulgesetze vorsehen, dass Inklusion der Regelfall ist!
Die Erziehung und Bildung aller Schüler*innen hat an der nächstgelegenen Regelschule zu erfolgen. Das gilt natürlich gerade auch für Schüler*innen mit Behinderungen, aber auch mit Benachteiligungen jedweder Art, insbesondere durch Armut oder soziale Zurücksetzung. Entsprechend erfolgen keine Zuweisungen mehr an Sonderschulen, wie das im gesamten Schulbezirk Reutte schon seit 25 Jahren der Fall ist. Auch in Kärnten ist dieser Übergang bereits im Wesentlichen vollzogen.

Das Konzept des „spF" (sonderpädagogischer Förderbedarf) ist mittelfristig durch eine schul- bzw. klassenbezogene Ressourcenvergabe zu ersetzen.
Der Übergang ist unter Einbeziehung internationaler Expert*innen und in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen (Art 4 Abs 3 UN-BRK) zu planen und umzusetzen.

Die Zusammenarbeit aller Beteiligten muss systematisch gesichert werden; das besondere Wissen der Eltern muss genützt, ihre Verantwortung respektiert werden.
Bei allen Kindern (nicht nur bei jenen mit spF): Vor Schuleintritt und einmal pro Semester ist ein auf den/die einzelne Schüler*in bezogenes Gespräch durchzuführen, an dem auch die Eltern, bisherigen Betreuer*innen, Therapeut*innen, Sozial/Behindertenbehörde... teil-nehmen, um den Unterricht vorzubereiten und die Fördermaßnahmen abzustimmen.

Schulentwicklungsprozesse und die Weiterentwicklung eines inklusiven Bildungssystems müssen finanziell abgesichert werden.
Zusätzliche finanzielle Ressourcen, wie sie z.B. auch die von Integration:Österreich unter-stützte Petition „Inklusive Bildung Jetzt" (Zl. 63/PET-NR/2021) fordert, würden der Umsetz-ung der UN-BRK im österreichischen Schulsystem dringend nötige Spielräume öffnen: Insbesondere könnten Nachteile bei den Betreuungsangeboten gegenüber den Sonder-schulen beseitigt und dadurch geholfen werden, die derzeit vorherrschende Stagnation zu überwinden. Budgetäre Mechanismen müssen systematisch genutzt werden, um die Etablierung inklusiver Strukturen auszubauen.

Inklusion muss wieder zu einem integralen Bestandteil der Qualitätsentwicklung aller Schulen werden.
Mit Einführung des „QMS – Qualitätsmanagement System für Schulen", das im Jänner 2021 an die Stelle des älteren „SQA – Schulqualität Allgemeinbildung" getreten ist, wurde Inklusion als Qualitätsmerkmal und Aufgabe von Schulentwicklungsprozessen ersatzlos aus dem Qualitätsrahmen von Schulen gestrichen. Wir fordern, dass Inklusion und inklusive Schulentwicklung auch im QMS zu einer zentralen Rahmenzielvorgabe für Qualitätsent-wicklung an allen Schulen gemacht werden.

Inklusion muss endlich auch in der Sekundarstufe II stattfinden.
Wir fordern die Einsetzung einer ministeriellen Arbeitsgruppe, unter Beteiligung der Zivilgesellschaft, zur umgehenden Erarbeitung einer gesetzlichen Verpflichtung zur Inklusion mit geeigneten Rahmenbedingungen in allen Schulformen der Sekundarstufe II.

Die Regelungen der „Ausbildungspflicht bis 18" müssen hinsichtlich Inklusion evaluiert und angepasst werden.
Wir unterstützen grundsätzlich die bestehende „Bildungspflicht bis 18". Es besteht aber die Gefahr, dass sie zu ausgrenzenden Sonderinstitutionen führt, in denen lediglich die Benach-teiligten zusammenkommen. Alle Ergebnisse der Bildungsforschung belegen, dass ein solches „pädagogisches Setting" die schlechtesten Bedingungen und Chancen für die betroffenen Jugendlichen bietet.

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